So gelingt die Energiewende
11. Juni 2025|Lesezeit: 5 min
Die Schweiz steht vor energiepolitischen Herausforderungen: VSE-Präsident und CKW-CEO Martin Schwab zeigt auf, wie mit Flexibilität, Innovation und Kompromissbereitschaft die Energiewende gelingt.
Martin Schwab, als Präsident des VSE und CEO von CKW beschäftigen Sie sich täglich mit dem Thema Energie. Wo tanken Sie persönlich Energie?
Ich bin zu jeder Jahreszeit mit meinem Stand-up-Paddle auf dem Vierwaldstattersee unterwegs. Da bin ich offline, kann abschalten und Energie tanken.
In Ihren Rollen haben Sie einen breiten Blick auf die Schweizer Energiebranche. Was sind derzeit die grössten Herausforderungen?
Der beschleunigte Umbau unseres Energiesystems, die Versorgungssicherheit im Winter und die Integration erneuerbarer Energien. Wir brauchen neue Produktionskapazitäten, intelligente Netze und flexiblere Marktmechanismen. Gleichzeitig müssen wir darauf achten, dass der Strom für Haushalte und Unternehmen bezahlbar bleibt.
«Wir müssen heute die Verantwortung wahrnehmen.»
Martin Schwab
VSE-Präsident und CKW-CEO
Die Schweiz will bis 2050 klimaneutral sein. Ist dieses Ziel realistisch?
Ja, aber es wird anspruchsvoll. Wir müssen massiv in erneuerbare Energien wie Photovoltaik, Windkraft und Wasserkraft investieren. Gleichzeitig braucht es neue Speichertechnologien, eine bessere Netzinfrastruktur und eine stärkere Kooperation mit dem Ausland. Gerade ein Stromabkommen mit der EU wäre sehr wichtig. Je besser wir in den europäischen Strommarkt eingebunden sind, desto sicherer und günstiger wird die Stromversorgung. Zusätzlich benötigen wir flexibel zuschaltbare Winterproduktion; aus heutiger Sicht sind dies Gaskraftwerke, in Zukunft hoffentlich betrieben mit erneuerbarem Gas.
Im Sommer haben wir heute schon einen Stromüberschuss, und im Winter zeichnen sich Stromlücken ab. Wie kann die Schweiz dieses Problem lösen?
Die Winterstromlücke ist eine echte Herausforderung. Ein Lösungsansatz ist der verstärkte Ausbau von Windkraft, alpiner Photovoltaik und Geothermie, denn diese liefern auch im Winter Strom – zusammen mit der erwähnten zuschaltbaren flexiblen Produktion aus Gaskraftwerken. Zudem müssen wir die Speicherkapazitäten ausbauen und uns stärker mit unseren Nachbarländern abstimmen.
Alpine Solaranlagen sind trotz hoher Subventionen kaum wirtschaftlich, und die Windenergie hat ein Akzeptanzproblem…
Ja, bei alpinen Solaranlagen bleibt die Wirtschaftlichkeit ein sehr grosses Problem. Die Gestehungskosten dieser Anlagen sind in den meisten Fallen immer noch viel zu hoch. Es wird darum kaum gelingen, mit alpiner Solarkraft die Winterlucke zu schliessen, aber sie kann dennoch einen Beitrag leisten. Die Windenergie wäre die optimale Lösung. Sie produziert über 60 Prozent der Energie im Winter, und dies unabhängig von Sonnenschein. Aber ja, der Widerstand ist vielerorts massiv. Und dennoch wollen wir alle eine zuverlässige und bezahlbare Stromversorgung.
Wie weiter, wenn dieser Ausbau wie bis anhin kaum vorangeht?
Jeder Widerstand gegen erneuerbare Kraftwerke bedeutet mehr Betriebsstunden von anderen Kraftwerkstypen, wahrscheinlich Gaskraftwerken. In einem positiven Szenario wurden solche Reserve-Gaskraftwerke nur wenige Stunden laufen, den Rest liefern Wind-, Sonnen- und Wasserkraft aus dem In- und Ausland. In einem negativen Szenario müssen wir im Winter über längere Phasen auf Gaskraftwerke zurückgreifen. Können diese nicht mit erneuerbarem Gas betrieben werden, müssten wir uns die Frage stellen, ob wir neue Kernkraftwerke brauchen, um die CO2-Ziele zu erreichen.
Und der Stromüberschuss im Sommer?
Er wird sich durch den Ausbau von Solar weiter zuspitzen. Die überschüssige Energie ist das eine. Der Zubau verursacht jedoch auch hohe Kosten beim Netzausbau, was für die Bevölkerung zu steigenden Netztarifen führen wird. Falls wir den überschüssigen Strom nicht lokal verwenden können, werden wir die Solarenergie zunehmend abregeln müssen, damit das Netz nicht kollabiert.
Produzieren wir zu viel Solarenergie?
Nein. Das kann man nicht generell sagen. Im Winter sind wir für jede einzelne Kilowattstunde dankbar – Gleiches gilt oftmals für den frühen Vormittag oder den späteren Nachmittag. Ganz anders sieht es an sonnigen Mittagen im Sommer aus, speziell an Wochenenden. Da haben wir bereits heute teilweise zu viel Strom, und die Preise am Markt werden negativ. Darum ist es wichtig, dass wir den Solarausbau auf Winterproduktion fokussieren; ein unbeschränkter Zubau von Solarenergie ist volkswirtschaftlich nicht sinnvoll.
Sollten wir also aufhören, Solaranlagen zu installieren?
Nein, auf keinen Fall! Hausbesitzer sollten sich aber bei der Planung auf zwei wichtige Punkte einstellen: Erstens wird in Zukunft nicht jede Kilowattstunde ins Netz eingespeist werden können, sonst explodieren die Netzkosten. Dazu nur ein Beispiel: Wenn man eine PV-Anlage so einstellt, dass nie mehr als 70 Prozent der Leistung ins Netz eingespeist werden, verliert man lediglich 3 Prozent der Jahresproduktion, dafür können 30 Prozent der Netzausbaukosten gespart werden. Das ist absolut sinnvoll, vor allem wenn man bedenkt, dass diese 3 Prozent Strom teilweise in Zeiten mit negativen Strompreisen produziert werden. Mit dem neuen Stromgesetz werden solche Begrenzungen in den nächsten Jahren Realität werden. Zweitens sollte man bei der Berechnung einer PV-Anlage nicht davon ausgehen, dass man für die nächsten 10 bis 20 Jahre zu jeder Zeit eine bestimmte fixe Vergütung erhält.
Wie soll der Hausbesitzer unter diesen unsicheren Bedingungen kalkulieren?
Die Anlage soll auf einen hohen Winteranteil und in Bezug auf ihre Leistung auf Eigenverbrauch optimiert werden, beispielsweise mit einem Speicher oder einem Zusammenschluss zum Eigenverbrauch (ZEV). Seit diesem Jahr sind auch virtuelle ZEVs möglich, damit müssen keine eigenen Leitungen oder Zahler eingebaut werden. Und ganz wichtig ist die intelligente Einbettung der Anlage in die übrige Haustechnik, sodass der selbstproduzierte Strom im eigenen Haus optimal genutzt wird. Zum Beispiel, dass der Boiler dann aufgeheizt und das E-Auto dann geladen wird, wenn genügend eigener Solarstrom zur Verfügung steht. Unsere App PV-Manager übernimmt solche Steuerungen.
Mit der Abschaffung des Niedertarifs in der Nacht hat CKW einen Anreiz geschaffen, Strom verstärkt tagsüber zu nutzen – dann, wenn Solaranlagen im Überfluss produzieren. Reicht das?
Es ist ein Puzzleteil im grossen Ganzen. Einen weiteren Anreiz können dynamische Tarife bilden. Wir können uns vorstellen, dynamische Tarife als wählbares Produkt vielleicht schon per 2026 anzubieten. Wir prüfen derzeit die technische Umsetzbarkeit.
Was können Privatpersonen zur Energiewende beitragen?
Jeder und jede kann einen Beitrag leisten. Wer eine Solaranlage installiert, Strom spart oder auf Elektromobilität umsteigt, hilft mit. Auch die Anpassung des Verbrauchsverhaltens – etwa durch Nutzung von Strom, wenn viel davon verfügbar ist – entlastet das Netz. Darüber hinaus helfen eine Offenheit gegenüber der Energiezukunft und das Zurückstellen von Eigeninteressen.
Wie meinen Sie das?
Alle wollen sauberen, bezahlbaren Strom. Aber sobald ein Kraftwerk in der näheren Umgebung geplant ist, regt sich der Widerstand. Unsere Vorfahren haben mit der Realisierung von visionären Infrastrukturprojekten die Basis für unseren Wohlstand geschaffen. Jetzt liegt es an uns: Wir müssen heute die Verantwortung wahrnehmen und für unsere Kinder und Grosskinder die Basis für eine klimafreundliche Energieproduktion legen.