«Es ist bereits nach zwölf»
2. September 2022|Lesezeit: 10 min
Wir alle sind aufgerufen, die Folgen des Klimawandels wo immer möglich abzuschwächen. Einen grossen Hebel haben KMU. Stephen Neff, CEO der Stiftung myclimate, über den Klimawandel und die Rolle der KMU bei der CO2-Reduktion.
Stephen Neff, der Sommer 2022 wird in die Annalen eingehen. Der Klimawandel und die Konsequenzen für uns alle dominieren die Schlagzeilen. Ist es wirklich 5 vor 12?
Es ist bereits nach zwölf! Die Entwicklungen der letzten dreissig Jahre zeigen sehr deutlich, dass wir es nicht mit Wetterkapriolen zu tun haben. Das Klima ändert sich tatsächlich dramatisch. Und glauben Sie mir – ich bin wirklich kein Panikmacher.
Dann ist es also zu spät zum Handeln? Ein E-Firmenwagen auf dem Parkplatz, ein paar Solarpanels auf dem Dach – das sind doch müde Tropfen auf einen längst kochend heissen Stein.
Überhaupt nicht, da muss ich Ihnen widersprechen. Es ist aber wichtig, dass die Leute den Ernst der Lage erkennen. Es sind die kleinen und mittleren Unternehmen, vor allem familiengeführte Firmen, die handeln.
Warum das?
Familiengeführte KMU denken nicht in Quartalen, sondern in Generationen. Sie erkennen, dass heute vieles, vielleicht alles auf dem Spiel steht. Sie haben verstanden, dass uns «green wishing» nicht weiterbringt. Damit meine ich kleinteilige Nachhaltigkeitsmassnahmen, gekoppelt mit viel Hoffnung und utopischen Vorstellungen. Klimaethik, Klimagerechtigkeit, Klimaphilosophie sind wichtig, wir müssen diese Themen diskutieren – aber vor allem müssen wir handeln. Jetzt. Wir dürfen nicht warten, bis uns der Gesetzgeber das Messer an den Hals setzt. Wir haben schlicht keine Zeit mehr, und wir müssen gross denken.
Erleben wir eine Art stille Energierevolution von unten?
Viele KMU haben verstanden, dass es ernst ist. Die Verantwortlichen handeln pragmatisch und wollen vorbereitet sein, bevor das Gesetz sie dazu zwingt. Was wir beobachten, ist eine Art Entideologisierung des Themas. Noch vor wenigen Jahren stand grüne Politik für linke Politik. Das hat sich schlecht mit unternehmerischen Ideen vertragen. Diese Zeiten sind vorbei. Viele Firmen sind heute stolz auf ihre E-Autos, die Solarpanels auf dem Dach und die reduzierten Flugkilometer. Hier hat ein Umdenken eingesetzt.
Für den Winter 2022/23 befürchten viele eine Energieknappheit. Eine Chance für ein weiteres Umdenken?
Die Hoffnung stirbt zuletzt. Wenn wir Energieknappheit hören, denken wir meist ans Heizen. Aber gerade in der Industrie sagt sich vielleicht der eine oder die andere Verantwortliche: Ich gehe das jetzt pragmatisch an. Ich prüfe die Alternativen und optimiere meine Produktionsprozesse. Das spart in der aktuellen Situation Energiekosten – gleichzeitig sind Investitionen in Energieeffizienz und erneuerbare Energien auch ein attraktives Mittel, um die Energiekosten langfristig tief zu halten. Anderseits brauchen wir eine Unabhängigkeit von gewissen Energieträgern, auch im Hinblick auf die Versorgungssicherheit. Und wir brauchen Energieträger, die nachhaltig sind.
«Holen Sie sich professionelle Beratung, wenn Sie Ihre CO₂-Bilanz verbessern wollen.»
Stephen Neff
CEO der Stiftung myclimate
Vielen KMU fehlen aber die finanziellen und personellen Mittel, um das Thema CO2-Reduktion nachhaltig anzugehen. Oft fehlt auch das Know-how. Was kann ich tun?
Machen Sie es nicht selbst. Holen Sie sich professionelle Beratung, wenn Sie Ihre CO2-Bilanz verbessern wollen. Identifizieren Sie gemeinsam mit den Profis Ihre Hotspots. Entwickeln Sie eine Strategie und setzen Sie sie um. Seien Sie konsequent. Seien Sie mutig. Wenn das oberste Management für Meetings durch die halbe Welt fliegt, bringt es wenig, einen energieeffizienteren Drucker anzuschaffen. Plastikrecycling, Lichterlöschen nach Arbeitsschluss oder ISO-Zertifikate sind gut. Aber sie verstellen den Blick auf das ganze Grosse.
Wo und wie erzielen KMU am schnellsten sichtbare Resultate?
Auf diese Frage gibt es keine pauschale Antwort. Industriebetriebe werden bei den Produktionsprozessen und dem Transport ansetzen. Dienstleister werden sich die Mobilität und die Immobilien vornehmen. Aber Gas- und Ölheizungen sollten Sie jetzt wirklich ersetzen. Es gibt hervorragende Alternativen, Wärmepumpen zum Beispiel. Bei der Energie kann sich ein Wechsel des Abos oder auch die Investition in Photovoltaik lohnen, hin zu nachhaltig produziertem Strom.
Bauliche Massnahmen, Anpassungen bei der Mobilität der Mitarbeitenden, Umstellungen bei der Heizung oder beim Strom. Wie aber sensibilisiere ich meine Mitarbeitenden für das Thema? Wie mache ich ihnen deutlich, dass es auf jeden einzelnen, jede einzelne ankommt?
Leben Sie es Ihren Mitarbeitenden vor. Die Verbesserung der CO2-Bilanz ist Chefsache. Wenn der CEO mit einem E-Auto vorfährt, hat das Signalwirkung. Aber bedenken Sie: Der Erfolg wird sich nicht ohne Widerstand einstellen. Das ist immer so, wenn sich Dinge ändern.
Wo hapert es am ehesten?
Oft bremst das mittlere Management.
Warum das?
Klimaziele sind in den Zielvereinbarungen des mittleren Kaders oft kein Thema. Deshalb bestehen kaum Anreize, aktiv zu werden. Unsere Initiativen für Bildung und Sensibilisierung möchten das ändern. Wir erreichen Menschen vom Kindergarten bis hin zum C-Level in Unternehmen. Wir fokussieren uns zunehmend auf die obersten Verantwortlichen, die Entscheiderinnen und Entscheider. Denn uns rennt die Zeit davon.
Gleichzeitig finden 75 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer, dass Unternehmen klimapolitische Verantwortung übernehmen sollten. Wie wichtig ist das ökologische Verhalten eines Unternehmens für den wirtschaftlichen Erfolg?
Alle KMU kennen ökonomischen Druck. Es ist schwierig, am Finanzmarkt Kapital für Klimamassnahmen aufzunehmen. Das ist viel zu teuer – und muss sich ändern. Verstehen Sie mich richtig: Ich verlange kein Gratisgeld. Aber die Politik müsste solche Investitionen zugänglicher und damit tragbarer machen.
Eine einfache Lösung ist es, wenn ich als Firma meine CO2-Emissionen kompensiere. Ist das langfristig eine sinnvolle Strategie oder nur Ablasshandel?
Wenn Sie kompensieren, garantiere ich Ihnen einen Platz im Himmel. (Lacht.) Ich muss Ihnen aber hier und jetzt sagen: Kompensation ist nicht die Lösung. Wir «kaufen» uns damit nur ein wenig Zeit, um Massnahmen zu entwickeln und umzusetzen und so den CO2-Ausstoss zu reduzieren.
Wie bitte? Sie sind doch der Papst der CO2-Kompensation?
Vermeidung, Reduktion, Kompensation: Das ist unser Credo. Mit unseren Bildungsinitiativen zielen wir auf die Vermeidung von CO2. Die Beratung fokussiert auf die Reduktion. Den Rest wollen wir kompensieren. Alle drei Bereiche sind wichtig, alle drei sind Teil der Lösung. Und unsere Arbeit trägt Früchte: Der CO2-Ausstoss in der Schweiz geht kontinuierlich zurück. Zurzeit arbeiten wir auch daran, CO2zu binden. Sei es durch das Pflanzen von Bäumen, sei es durch technologische Lösungen.
Stephen Neff
Stephen Neff ist als Auslandschweizer in Kanada aufgewachsen. Der Elektroingenieur und Betriebsökonom hat unter anderem für ABB, Alstom und Bombardier gearbeitet. Das Thema Nachhaltigkeit und CO2-Reduktion begleitet ihn seit vielen Jahren beruflich und privat. Er ist verheiratet, lebt im Aargau und hat vier erwachsene Kinder. Seit 2018 ist er CEO der Stiftung myclimate.
Wir müssen unseren CO2-Ausstoss dringend reduzieren, das ist offensichtlich. Was unternehmen Sie persönlich?
Ich habe in den letzten Jahren für viele grosse Industrieunternehmen gearbeitet. In der Schweiz und im Ausland. In diesen Funktionen bin ich noch bis vor 15 Jahren viel geflogen. Das hat mich zunehmend gestört. Deshalb habe ich mich entschieden, in die Schweiz zurückzukehren. Heute fliege ich bestimmt 80 Prozent weniger als damals. Im Haus habe ich eine Wärmepumpe, und den Diesel habe ich durch ein E-Auto ersetzt.
myclimate und CKW bieten gemeinsam einen Klima- und Energiecheck speziell für KMU an. Was leistet dieser Check?
Energie- und Ressourceneffizienz sparen nicht nur Kosten, sondern helfen auch der Umwelt. Nachhaltigkeit wird zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil: Die Kunden fordern zunehmend nachhaltige Produkte. Das kann in Zeiten des Fachkräftemangels bei potenziellen Mitarbeitenden den Ausschlag für oder gegen Ihr Unternehmen geben. Der Klima- und Energiecheck liefert in einem ersten Schritt eine CO2-Bilanz – diese ist die Grundlage für weitere Schritte im Klimaschutz. Das Angebot von CKW und myclimate geht aber einen Schritt weiter und liefert den KMU eine detaillierte Empfehlung zu sinnvollen Reduktionsmassnahmen. Dies hilft, die Hürden für die effektive Umsetzung von Effizienz- und Reduktionsmassnahmen zu senken.
Wenn Sie Ihr Unternehmen klimafit machen möchten, sind eine CO2-Bilanz und eine Analyse der zur Verfügung stehenden Reduktionsmassnahmen unverzichtbar.
CKW bietet ebenfalls einen kostenlosen CO2-Rechner für KMU an. Wie schätzen Sie den Nutzen solcher Tools ein?
Für eine erste schnelle Abschätzung ist dieser Rechner gut geeignet. Er liefert erste Resultate und bietet erste Erkenntnisse für weitere Schritte. Die Grundlage ist oft eine Analyse der Ist-Situation: CO2-Bilanz oder Footprint. Von diesen Resultaten werden Ziele und Massnahmen abgeleitet, die den Fussabdruck verkleinern.
Die Geschichte zeigt, dass der Mensch immer erst auf Bedrohungen reagiert, wenn es richtig wehtut. Dieses Mal aber könnte es bereits zu spät sein. Woher nehmen Sie die Hoffnung, dass die Menschheit es doch noch packt?
Ich bin Ingenieur. (Lacht.) Wenn wir es schaffen, die notwendigen Änderungen möglichst schmerzlos durchzusetzen, dann habe ich Hoffnung. Alle Lösungen sind da – jetzt müssen sie industrialisiert, skaliert und eingeführt werden. Das hat seinen Preis. Wenn wir heute nicht bereit sind, diesen Preis zu zahlen, wird morgen die Rechnung um einiges höher ausfallen.
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