«Wir würden gerne deutlich schneller vorwärtsmachen»
19. April 2021|Lesezeit: 12 min
Die Energiewelt befindet sich in einem grossen Umbruch. CKW-CEO Martin Schwab erklärt im Interview, wieso es beim Ausbau der erneuerbaren Energien harzt und was die geplante Strommarktöffnung für die Kundinnen und Kunden bringt.
2011 hat der Bundesrat den Atomausstieg verkündet. Wo stehen wir heute, zehn Jahre später, mit der Energiewende?
Beginnen wir mit dem Einfachen: Wir haben es geschafft, einen breit abgestützten Konsens in der Bevölkerung zu finden. Die Schweiz betreibt ihre Kernkraftwerke weiter, solange sie sicher sind, ersetzt sie aber nicht. Danach wird es schon schwieriger.
Warum?
Weil wir ganz unterschiedlich gut unterwegs sind. Im Bereich der Gebäudesanierung und der Solarenergie haben wir in den letzten Jahren einen enormen Boom erlebt. Das ist toll fürs Klima, für die Kundinnen und Kunden und auch für unsere einheimische Wirtschaft. Wer heute baut und saniert, kauft in aller Regel eine Wärmepumpe und baut immer öfter eine Solaranlage dazu. Dieser Trend wird weitergehen. Gleichzeitig stehen wir am Beginn eines ähnlichen Booms im Autobereich. Die Zahl der E-Fahrzeuge wird in den kommenden Jahren steil nach oben gehen.
Und wo harzt es?
Sobald es über das einzelne Gebäude hinausgeht, sieht die Situation völlig anders aus. Beim Ausbau der erneuerbaren Energien sind wir überhaupt nicht auf Kurs. Der Ausbau der Windkraft kommt kaum voran, ganz im Gegenteil. Bei der Wasserkraft wird die Stromproduktion bei vielen Kraftwerken in den kommenden Jahren abnehmen, unter anderem wegen verschärfter Restwasservorschriften. Weitere Kraftwerke werden ganz vom Netz gehen, weil sich Ersatzinvestitionen unter den jetzigen Rahmenbedingungen wirtschaftlich schlicht nicht rechnen. Gleichzeitig ist es enorm aufwendig, neue Wasserkraftwerke zu realisieren. Auch die Geothermie kommt kaum voran.
Was heisst das für CKW?
Wir würden gerne deutlich schneller vorwärtsgehen und mehr Projekte realisieren. Aber die Verfahren dauern sehr lange, und die Widerstände sind oftmals gross. Wir planen seit über zehn Jahren ein Wasserkraftwerk in Flühli und seit 2016 einen Windpark in Beinwil, direkt an der Grenze zwischen Luzern und Aargau. Bei beiden Projekten gibt es aber immerhin nach all den Jahren auch positive Signale. Vor Weihnachten konnten wir das Konzessionsgesuch für das Wasserkraftwerk Waldemme beim Kanton Luzern einreichen. Und in der Gemeinde Hitzkirch lehnten die Stimmberechtigten eine Anti-Windkraft-Initiative deutlich ab. Zudem konnten wir im Kanton Uri einige Projekte realisieren. Doch das wird nicht reichen, um die Stromversorgung der Schweiz für die Zukunft zu sichern.
Martin Schwab
Martin Schwab (54) ist seit April 2018 CEO von CKW. Zuvor war er während sieben Jahren Finanzchef der Axpo Holding AG. Der dreifache Familienvater ist gebürtiger Berner und wohnt im Kanton Luzern.
Was heisst das konkret?
Die Kernkraftwerke gehen schrittweise vom Netz, und der Stromverbrauch nimmt durch den Ersatz der Ölheizungen und der fossil betriebenen Autos weiter zu. Damit werden wir insbesondere im Winter immer abhängiger von Stromimporten. Bereits heute müssen wir jeden Winter rund drei Terawattstunden Strom importieren. In den kommenden Jahrzehnten könnte sich dieser Importbedarf auf rund 13 Terawattstunden vervielfachen. Dies entspricht rund einem Fünftel des Schweizer Stromverbrauchs.
Wie decken wir die Lücke?
Das ist letztlich keine technische, sondern eine politische Frage. Wie hoch soll der Eigenversorgungsgrad der Schweiz mit Strom im Winter sein? Das ist die alles entscheidende Frage, die weder die Energiebranche noch der einzelne Konsument alleine beantworten kann. Diese Antwort muss die Politik liefern. Nicht vergessen darf man dabei, dass für eine Importstrategie der Schweiz im Winter in umliegenden Ländern genügend Exportkapazitäten verfügbar sein müssen. Das ist mit dem Kohle- und Kernkraftausstieg in Deutschland alles andere als gesichert.
«Die Schweiz ist in den meisten Themen der Energiewende auf halber Strecke stecken geblieben.»
Martin Schwab
CEO CKW
Was kann die Politik konkret tun?
Die Schweiz ist in den meisten Themen auf halber Strecke stecken geblieben. Wir lenken nicht mit einer Lenkungsabgabe, wir fördern den Ausbau der Erneuerbaren aber auch nicht richtig. Und wir haben den Strommarkt nur halb geöffnet. Darum finden der Zubau und die Innovation vor allem im Ausland statt.
Was würden Sie tun, wenn Sie die Schweizer Energiepolitik frei gestalten könnten?
Die effizienteste Lösung wäre eine echte CO2-Lenkungsabgabe, die alle Verursacher umfasst und vollständig an die Bevölkerung zurückerstattet wird. Das würde sofort die richtigen Signale aussenden – beim Ausbau der Stromproduktion, bei der Gebäudesanierung und der Mobilität. Gleichzeitig könnten wir viele ineffiziente Subventions- und Sensibilisierungskampagnen streichen. Wenn wir zusätzlich endlich die vollständige Strommarktliberalisierung umsetzen, kommen wir auf den richtigen Weg.
Was würde denn die vollständige Strommarktöffnung bringen?
Sie bringt den Konsumenten Wahlfreiheit. Jede und jeder von uns kann dann die Herkunft seines Stroms selbst bestimmen. Künftig kaufe ich vielleicht vorab die Produktionsüberschüsse von der Solaranlage meines Nachbarn und lasse mir nur den Reststrom aus Grosskraftwerken liefern. Ausserdem entsteht Raum für regionale Energiegemeinschaften – ein Modell, das im Ausland mehr und mehr Verbreitung findet und auch den Ausbau der Erneuerbaren voranbringt.
«Mit der Dekarbonisierung und der Dezentralisierung gewinnt das Stromnetz noch mehr an Bedeutung.»
Martin Schwab
CEO CKW
Besteht dann nicht die Gefahr, dass das Stromnetz weniger gut unterhalten wird und verlottert, wie zum Beispiel die Bahninfrastruktur in gewissen Ländern?
Nein, denn Liberalisierung heisst nicht Privatisierung. Das Stromnetz bleibt auch bei einer vollständigen Marktöffnung in der Hand der Netzbetreiber, die weiterhin eine stabile und sichere Versorgung garantieren. Es ist sogar so, dass das Stromnetz mit der Dekarbonisierung und der Dezentralisierung noch mehr an Bedeutung gewinnt. Der zusätzlich produzierte und verbrauchte Strom will transportiert werden.
Heisst dies, dass die Konsumentinnen und Konsumenten künftig hohe Kosten für den Netzausbau befürchten müssen?
Nicht, wenn wir es intelligent anstellen. Wichtig ist, dass die Kosten verursachergerecht verteilt werden. Das schafft Anreize dazu, das Netz nicht unnötig stark zu belasten. Beispielsweise indem wir Produktionsspitzen von Photovoltaikanlagen vermeiden oder den produzierten Strom durch geschickte Steuerung von Ladestationen, Wärmepumpen und weiteren Anlagen lokal verbrauchen. Leider erlauben es die gesetzlichen Vorgaben heute nicht, hinreichend verursachergerechte Netztarife einzuführen. Auch da ist die Politik gefordert.